Offener Brief der Kreiselternräte von Bautzen und Görlitz

05.10.2019
Dies schreibt unser Dichterfürst zum Thema Zukunft - es ist ein Leitgedanke für uns, denn für uns Eltern sind unsere Kinder unsere Zukunft. Wir leben in einem Bundesland, in dem die Voraussetzungen für eine hervorragende Bildung mehr als gegeben sind - und dennoch muss das Recht auf Bildung unserer Kinder täglich erkämpft werden. Im Vergleich zu anderen sind wir in Sachsen im Bereich der Bildung noch vorn. Um diesen Zustand zu erhalten werden und müssen wir Bestehendes hinterfragen, Sinnvolles bewahren, Überholtes verwerfen und Neues zulassen. Einen Ansatz zum Diskurs darüber stellt dieser offene Brief für uns dar und wir sind bereit, einen Dialog mit den Verantwortlichen zu führen. Unser Grundgedanke: Wir brauchen einen eigenen, einen sächsischen Weg beim Thema Bildung. Folgende Themen stehen an: - Bildungsticket – Sofortige Einführung des Bildungstickets für Schüler und Auszubildende für die Landkreise Bautzen und Görlitz. Die auf den ÖPNV angewiesenen Kinder und Jugendlichen sind mit dem Verlust ihrer Lebenszeit durch Warten auf Bus und Bahn bereits genug gestraft. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass Eltern weiterhin für die massenhaften Schließungen von Schulen (1000 Schulen wurden durch den Freistaat besonders im ländlichen Raum in den letzten 30 Jahren geschlossen) zur Kasse gebeten werden. - Pädagogen für Sachsen – Die Zahl der Studienplätze für Pädagogik in Sachsen muss verdoppelt werden. Da dies eine ministeriumsübergreifende Aufgabe darstellt, fordern wir sowohl das Ministerium für Wissenschaft und Kunst als auch das Sächsische Staatsministerium der Finanzen zu einer zielorientierten und konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultus auf. - Neue Hochschulen im ländlichen Raum – Wir fordern die Schaffung von pädagogischen Hochschulen in unserem ländlichen Raum mit dem Ziel der langfristigen und dauerhaften Versorgung mit Pädagogen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz in den nächsten 5 Jahren. Diese Hochschulen dürfen nicht wieder Leuchttürme in einer der großen Kreisstädte an der A4 werden, sie müssen im ländlichen Raum angesiedelt sein. Über eine Förderung durch die ansässige Industrie, über Sonderstipendien oder andere Bindungsmöglichkeiten (Wohnraum) sowie einen regionalen Sonderweg in der Ausbildung ohne Numerus clausus als Zugangsberechtigung (Lehrerausbildung 2.0, frühzeitige Einbindung an Schulen im ländlichen Raum in Form eines dualen Studiengangs, inklusions- und integrationsorientierte Ausbildung, zweisprachige Ausbildung im Dreiländereck – um nur einige Ansatzpunkte zu erwähnen) sollte überdies längst einmal gründlich nachgedacht werden. Einen Numerus clausus für die Grundschulpädagogik halten wir für unsinnig und falsch. Entscheidend für ein Studium sollte Empathie für Kinder und die Befähigung zur Ausführung des Lehrerberufes sein - und nicht ein überdurchschnittlicher Notendurchschnitt. Der Numerus clausus wurde erst 2010 eingeführt, er sollte umgehend abgeschafft werden. - Sprachliche Besonderheiten – Wir erwarten eine Förderung der sprachspezifischen Besonderheiten der Region. Dies betrifft den Erhalt der sorbischen Sprache und der Oberlausitzer Mundart. Unverständlich für uns ist die pädagogische Ausbildung in sorbischer Sprache fernab in Leipzig. - Staatliche Schulen und Schulen in freier Trägerschaft – Sofortige Gleichstellung von staatlicher Schule und Schule in freier Trägerschaft. Mittlerweile geht jedes 5te Kind in Sachsen auf eine Schule in freier Trägerschaft. Diesem Umstand sollte langsam in allen Dingen Rechnung getragen werden. Die Finanzierung zu 90% widerspricht dem Grundsatz der Gleichstellung. Die Benachteiligung bei der Zuweisung von Schulsozialarbeitern oder die unterschiedlichen Einstellungskriterien für Lehrkräfte ist diskriminierend und beschämend. - Schulessen – Für unsere Kinder wünschen wir uns mindestens eine dem Alter entsprechende gesunde, gen-freie und warme Mahlzeit am Tag (andere Bundesländer sind uns da weit voraus). - Muttersprache und Mathematik – Die Grundvoraussetzung, sich mit dem Leben in allen Facetten auseinanderzusetzen, ist das Lesen, Schreiben und Rechnen. Wir fordern daher eine höhere Stundenzahl für die Grundlagenfächer Deutsch und Mathematik. - Standort Bautzen des Landesamtes für Schule und Bildung (LaSuB) – Wir erwarten und wünschen uns eine positive Stellungnahme seitens des Kultusministeriums hinsichtlich des Erhalts und des Fortbestehens des Standortes Bautzen des Landesamtes für Schule und Bildung und eine Rücknahme des Beschlusses zu dessen Schließung. Eine weitere Zentralisation ist in unseren Augen der falsche Weg. - Über 50.000 Unterschriften sind im sächsischen Landtag für ein längeres gemeinsames Lernen in Sachsen eingegangen. Wir begreifen es als Möglichkeit und Chance einen weiteren Exodus von Schulen im ländlichen Raum und kleinen Städten zu verhindern. Eine Schule im Ort ist immer auch ein entscheidender weicher Standortvorteil für eine Kommune. Will man ernsthaft einer weiteren Entvölkerung in unserer Region entgegenwirken, könnte dies ein gutes Instrument darstellen. - Ungleichstellung innerhalb der Lehrerschaft – Mit gemischten Gefühlen sehen wir die Verbeamtung der Lehrer in Sachsen. Hier wird ein ungelöstes Problem der Vergangenheit zu einem Problem der nächsten Generationen und zu einem greifbaren Problem in den Lehrerzimmern. Gymnasiallehrer als Direktoren an Grundschulen, Gehaltsstufenwechsel bei gestandenen Lehrern mit finanzieller Schlechterstellung, ungleiche Entlohnung für die gleiche Tätigkeit innerhalb eines Lehrerzimmers und vieles mehr; das erlebte und emotionale Durcheinander könnte nicht größer sein. Wo bleibt hier die ordnende Hand? Die Vogel Strauß-Methode kann nicht die Lösung für diese große Herausforderung sein. - Integration und Inklusion – Ist dies mit nur einem Lehrer pro Klasse überhaupt möglich? Wer hat sich damit auseinandergesetzt und die Betroffenen dazu befragt? Länder, die dieses hohe humanistische Ansinnen erfolgreich umsetzen, gehen mit mindestens zwei Lehrern pro Klasse dieser großen Herausforderung entgegen. Wir sehen die Gefahr, dass zwar etwas Gutes erreicht werden soll, es aber schlecht vorgedacht ist und dementsprechend nur schlecht umzusetzen ist. Wurde hier der zweite vor dem ersten Schritt getan? - Um die im neuen Schulgesetz angestrebten Ziele zu erreichen, sollte eine Pflicht zur pädagogischen Weiterbildung der Lehrer nicht nur festgeschrieben, sondern auch durch höhere Anreize hinterlegt werden. - Festgeschriebene Klassenleiterstunden – in unseren Augen sind sie zumindest einmal in der Woche notwendig, um die grundlegenden Dinge zwischen Klasse und Klassenleiter zu regeln. Wir fordern Fachpersonal im Sächsischen Ministerium für Kultus und in dessen nachgeordneten Behörden, das sich - mit den sächsischen Besonderheiten auseinandersetzen will und das auch kann, - den Problemen und Befindlichkeiten unserer Eltern und Lehrer annehmen will, - deren Inhalten vorurteilsfrei und ernsthaft widmet. Kurz, welches eine Arbeit leistet, die weder gegen die Eltern noch gegen die Lehrerschaft und auch nicht gegen die gewählten Volksvertreter gerichtet ist. Die Eltern, die Lehrer und die Politik müssen endlich wieder einen Zugriff auf die Themen, Inhalte, Zielstellungen, Abläufe und Umsetzungen im Bereich Bildung in Sachsen bekommen. Nicht die Referentenentwürfe aus der Enge der Amtsstuben, nicht eine auf bundesrepublikanischen Maßstab herunterstufende Bildungspolitik, sondern ein eigener, sich an den Besten orientierender Weg, der die Erfahrungen und Bedürfnisse vor Ort berücksichtig, sollen das Handeln des Ministeriums bestimmen. Es rächt sich, die Sorgen und Einwände der Eltern ignoriert zu haben. „Wir haben verstanden!“ sollte nicht mehr nur eine inhaltslose Worthülse sein. Wut und Enttäuschung - dies ist bei uns Elternvertretern das vorherrschende Gefühl, sehen wir auf die Zahlen der Neueinstellungen für das laufende Schuljahr. Das Versagen ist in den Klassenzimmern, den Elternhäusern und der Gesellschaft greifbar. Im Grundschulbereich kamen in diesem Jahr auf die 95 geplanten nur 34 grundständig ausgebildete eingestellte Lehrerinnen oder Lehrer. Das ist ein Drittel! Selbst die radikalen Maßnahmen in den letzten beiden Jahren – Stundenkürzungen von 5 Prozent im vorletzten und von weiteren 3 Prozent in diesem Jahr – konnten den Mangel nicht beseitigen. Ein Raubbau in den Grundlagenfächern Deutsch und Mathematik ging weiter. Wir fordern ein sofortiges Umdenken – Stundenkürzungen dürfen nicht die Lösung dieser Probleme sein! Schnelle und teure Maßnahmen als Antwort der Politik auf die Misere möchten wir verhindern. Wir fordern eine auf Langfristigkeit ausgelegte Bildungspolitik, auch wenn wir dafür durch ein weiteres tiefes Tal gehen müssen. Über die Rekrutierung und Anwerbung der Seiten- und Quereinsteiger wollen wir nicht den Stab brechen, es konnte zumindest einen Teil der Ausfallstunden durch diesen Behelf abgefangen werden. Dank an die Verantwortlichen vom Standort Bautzen des LaSuB für diese Idee und deren Umsetzung. Wie hoch die Zahl der Seiten- und Quereinsteiger schlussendlich ist, welche dann irgendwann erfolgreich im sächsischen Schulsystem ankommen, würde uns natürlich interessieren. Die Aussagen reichen hier von 40 bis 60 Prozent. Frage: Da jeder Seiten- und Quereinsteiger als Vollzeitstelle geführt wird, wie hoch ist der damit verbundene (in)offizielle Ausfall? Wie deckt sich diese Maßnahme mit dem Numerus clausus, der doch sonst für Pädagogen gilt? Auch wenn bereits große Bereiche der Zivilgesellschaft in eine empörte Sprachlosigkeit verfielen und Verantwortliche achselzuckend und staunend ihren verantworteten Bildungsunfall vom Dresdner Balkon aus betrachten, wir Eltern der Landkreise Görlitz und Bautzen werden nicht mehr schweigen und ein wortloser Teil des bunten Plakates vor dieser kaputten Mauer sein. Mit lieben Grüßen von ihren Partnern beim Thema Bildung in Sachsen Die Kreiselternräte von Görlitz und Bautzen